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The Dirty Mustard DC – Warum meine Herz-Reha mit schmutzigem Mostrich endete

Gitarrenhals als Sinnbild für eine verkorkste Herz-Reha

Überraschend schnell kam der Bescheid, dass ich schon gut eine Woche nach der Entlassung aus dem Krankenhaus mit einer Herz-Reha beginnen könne.

Herz-Patient*innen sollen wieder arbeitsfähig werden. Sie sollen die Krankheit verstehen, Faktoren kennenlernen, die sie begünstigen und bestenfalls ändern, was man ändern kann.

Ein entscheidender Hebel für Herzerkrankte ist eine gesunde Ernährung und viel Bewegung. Blutdruck und Blutfettwerte lassen sich zum Beispiel mit einer mediterranen Küche positiv beeinflussen. Ausdauer- und Kraftsport stärken das Herz und halten die Arterien flexibel.


INHALTSVERZEICHNIS

Herz-Reha im Teutoburger Wald
Testrekorde
Das Unheil kam zum Nachtisch
Abgeschottet – Meine Reise auf den Zauberberg
Die magische 112 oder „Lieber einmal zuviel… „
Schmutziger Mostrich


Kein Wunder also, dass mir die Herz-Reha (Anschlussheilbehandlung) von meinen Ärzten dringend empfohlen wurde. Stationär oder ambulant, ganz nach Belieben. Mancher jedoch hätte bei stationären Maßnahmen Angst vor einer Corona-Infektion, merkte ein Arzt an. Ich ahnte noch, nicht, was das mit mir zu tun haben sollte.

Herz-Reha im Teutoburger Wald

Noch im Kölner Krankenhaus überreichte mir ein Herr vom Sozialen Dienst eine Liste mit möglichen Rehakliniken. Ich könne mir eine aussuchen. Wo es denn schön sei, frage ich. Es sei nirgendwo schön, war die launige Antwort! Was für Aussichten.

Trotzdem. Mal drei Wochen aus allem auszusteigen, klang verlockend. Also entschied mich für die stationäre Variante.

Meine Wahl fiel auf eine Klinik im Teutoburger Wald. Der Internet-Auftritt war einer der überzeugenderen. Viel Natur und das freie WLAN-Netz gaben den Ausschlag.

Wermutstropfen war das corona-bedingte Besuchsverbot. Niemand durfte zum Beispiel am Wochenende vorbeikommen. Für einen Tagesbesuch war es zu weit und Übernachtungen waren untersagt. Nun gut.

Montagsmorgens machten meine Frau und ich uns auf den weiten Weg und landeten in der Nähe von Höxter vor einem nicht sehr ansehnlichen Hochhaus im Grünen. Auch hier mussten wir uns am Eingang trennen. Wieder ging ich allein auf Abenteuerreise.

Das Haus wirkte wie ein gediegenes Hotel und verbreitete keine Krankenhausatmosphäre. Immerhin.

#1 Out of the Blue -
Wie mein Herz aus dem Takt geraten ist

Der Herzinfarkt erwischte mich auf dem Weg zum Supermarkt. 24 Stunden später liege ich auf der Pain Chest Unit eines Krankenhauses, versorgt mit zwei Stents im vorderen Herzkranzgefäß und rund um die Uhr überwacht.
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Testrekorde

Die Herz-Reha begann ernüchternd. Zum Check-In sollte ich einen (nicht näher definierten) negativen Corona-Test mitbringen. Mein schnell noch vorab durchgeführter Schnelltest reichte nicht, ein PCR-Test sollte es sein! Bis zum Ergebnis wurde Zimmerarrest verordnet. Na, toll!

Ich saß erstmal fest. Die Reha lag brach. Mein Bücherstapel und die Stratocaster hielten mich bei Laune. Den Tagesrhythmus gaben mehr oder weniger gesunde Mahlzeiten vor, die zu seltsamen Zeiten aufs Zimmer serviert wurden.

Die Stunden vergingen, das Testergebnis ließ auf sich warten. Am Tag 3 reichte dann doch ein Schnelltest. Der dritte Test innerhalb von vier Tagen! Negativ. Erlösung.

Endlich konnte ich meine Reha starten. Ich stieg aufs Ergometer, hörte einen ersten Vortrag über Ernährung und nahm an einer äußerst niedrigschwelligen Gymnastikeinheit teil. Kaum älter als ich, kamen einige meine Mitsportler schon bei einfachsten Übungen rasch aus der Puste.

Am Nachmittag erkundete ich die Umgebung und die naheliegende Kleinstadt. Endlich frische Luft!

Das Unheil kam zum Nachtisch

Beim Mittagessen wunderte mich das Gewusel an der Salat- und Getränketheke, das sich nun wirklich nicht mit den bekannten Abstandsregeln vertrug. Ein anderer Patient saß an meinen Tisch, der nach kurzer Zeit verschwand.

Zum Abendessen sah ich meinen Tischnachbarn wieder. Er hatte sich ganz schön ausgebreitet. Ich nahm mein Besteck und setzte mich mit dem Rücken zu ihm an den Nachbartisch. Kurz darauf war er verschwunden.

Es war viertel vor sieben als am nächsten Morgen das Telefon klingelte. Mein Tischnachbar sei positiv auf Corona getestet. Ich solle im Zimmer bleiben, da ich Kontaktperson „eins“ sei und die Maßnahmen des Gesundheitsamtes abgewartet werden müssten! Zimmerarrest Nummer 2. Jetzt wusste ich, was der Arzt im Krankenhaus meinte.

Wie kann das sein, dass sich jemand infiziert, wenn niemand die Reha-Maßnahme unterbrechen darf? Wenn ein negativer Test Pflicht ist? Wenn alle Masken tragen und Abstandsregeln gelten? Die Mitarbeiter*innen waren so ratlos wie ich.

Im Laufe des Vormittags wurde ich zur häuslichen Quarantäne von 14 Tagen verdonnert. Am besten solle ich am gleichen Tag abreisen.

Meine Frau machte sich auf den Weg und spätabends erreichten wir nach ca. 1000 gefahrenen Kilometern innerhalb einer Woche wieder unser Zuhause.

Was für Zeiten?

Abgeschottet – Reise auf den Zauberberg

Die nächsten 10 Tage war ich nun kaserniert und vertrieb mir die Zeit mit der Stratocaster und Fitnessvideos. Eine sehnige Boxerin präsentierte ihre Bootcamp-Übungen. „Wenn es in euren Armen brennt, wisst ihr, dass ihr es richtig gemacht habt!“

Um mich von Zeit zu Zeit mit Frischluft zu versorgen, „reiste“ ich einmal täglich nach „Davos“. Warm eingepackt mit Buch saß ich auf der Terrasse und fühlte mich wie Hans Castorp auf dem Zauberberg.

Die magische 112 oder „Lieber einmal zuviel… „

Einen Tag nach meiner unfreiwilligen Rückkehr aus der Herz-Reha packte mich abends die Panik. Ich spürte einen unerklärlichen Schmerz im linken Oberarm. Kann das Muskelkater sein? Aber woher? Bei Herzinfarktpatienten, hatte ich gelernt, seien linksseitige Beschwerden immer Alarmsignale. Was tun? Nach telefonischer Rücksprache mit dem ärztlichen Notdienst blieb nur eins: 112 wählen.

Vor den magischen Telefonnummern 110 oder 112 hatte ich immer Respekt. Wenn schon, dann muss schon richtig was Schwerwiegendes vorfallen. Eine Schießerei auf der Straße, zum Beispiel. Oder wenn trotz längerer Herzmassagen eine Wiederbelebung nicht gelingt.

So ein Quatsch, lerne ich. Linksseitige Schmerzen nach einem Herzinfarkt sind Grund genug.

  • Starke und anhaltende Schmerzen hinter dem Brustbein, die in Arme, Bauch, Rücken, Hals, Schulterblätter und Kiefer ausstrahlen können
  • Massiver Druck im Brustkorb
  • Vernichtungsgefühl und/oder Todesangst
  • Heftiges Engegefühl oder das Gefühl eingeschnürt zu sein
  • Brennen im Brustkorb
  • Kalter (Angst)schweiß
  • Schwindel oder Schwächegefühl
  • Fahle oder blasse Gesichtsfarbe

Die wichtigsten Symptome und worauf man sonst noch achten sollte hat die Deutsche Herzstiftung hier übersichtlich zusammengefasst.

So komme ich zu meiner zweiten Fahrt im Rettungswagen innerhalb von drei Wochen. Die Sanitäter sind sehr nett und erkennen gleich meine Hauptbeschwerde: blanke Panik.

Im örtlichen Krankenhaus werde ich nach kurzem Warten für eine Dauerüberwachung verkabelt. Ein Bluttest soll zeigen, ob die Werte verdächtig sind. Ich merke, wie Verzweiflung in mir aufsteigt.

Dann das Ergebnis: Negativ, alles im grünen Bereich. Puh! Noch zwei Stunden muss ich auf meiner Liege ausharren bis zum 2. Test, der zur Sicherheit auch noch gemacht wird. Das Ergebnis wird bestätigt. Ich bin erlöst.

Schmutziger Mostrich

Glücklich wieder zu Hause, können wir ins Wochenende starten. Ich bestelle mir gleich die „Johnny-Thunders“-Gitarre, die mir seit dem Tag meines Infarktes in der Notaufnahme im Kopf schwirrt.

Natürlich nicht das Original.

Ich freue mich wie Bolle, als der Karton geliefert wird. Und staune, wieviel Gitarre man für so wenig Geld erhält. Es ist zwar nicht die die gleiche wie vom seligen Johnny, sie hat aber einen krass-coolen Namen: The Dirty Mustard DC


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 #2 Lebensdraht – Wie ein winziges Röhrchen mein Leben verändert

 #3 „Wo laden Sie Ihre Akkus auf?“ – Stress macht auch dem Herz zu schaffen

 #4 Was macht uns eigentlich so sicher?


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