Was macht uns eigentlich so sicher?

Herzinfarkt - was macht uns eigentlich so sicher?

„Ab nach Hause,“ sagte der Oberarzt nach der abschließenden Visite. Nach 5 Tagen und diversen Untersuchungen kann ich gehen. Früher blieb man nach einem Herzinfarkt 5 Wochen im Krankenhaus.

Ich spreche ihn auf das leichte Stechen im Herzen an. Das sei normal, da ich ja nun zwei Fremdkörper in mir tragen würde. Außerdem werde das Herzgewebe wieder belebt, das durch die Unterversorgung gelitten hatte. Daran müsse sich der Körper erst gewöhnen. Nach 5 – 7 Tagen sollte sich das geben.

Meine Frau holt mich ab. Vorher machte sie noch einen Corona-Schnelltest, um mich nicht zu gefährden. Ich warte im gleichen Outfit vor dem Krankenhaus wie vor 5 Tagen, als ich mich in die Notaufnahme begab.

War da was? Eigentlich ja, aber es kommt mir vor, als wäre es jemand anderem passiert. Es ist unwirklich.

Zu meiner Retro-Sporttasche sind noch einige andere Gepäckstücke gekommen, die mir von meinen Leuten nachgeliefert wurden. Im Gegensatz zum ersten Krankenhaus herrschte Besuchsverbot. Wenn ich was brauchte, konnten sie es am Eingang abgeben und ich bekam es aufs Zimmer geliefert.

Leben ist Beziehung

Zu Hause wartet ein Begrüßungspaket von einer lieben Freundin auf mich. Blumen, faire Schokolade und Lesestoff über Gitarren und gesunde Ernährung.

Eine der wichtigsten Aufgaben in der nächsten Zeit: Umstellung der Ernährung.

Die Unterstützung von Freunden und Familie ist toll. Im Krankenhaus war mir trotz Besuchsverbot keine Sekunde langweilig. Im schnellen Takt erkundigte sich jemand nach mir, per Telefon oder Skype. Manche waren besorgter als ich.

Insbesondere meine Geschwister waren völlig aus dem Häuschen. Es tat gut von allen begleitet zu werden. Außerdem war ich ständig damit beschäftigt, mein Handy und mein Tablet zu laden.

Zuzahlungen kann man steuerlich geltend machen

Am zweiten Tag nach meiner Rückkehr überrasche ich meinen Hausarzt mit der Nachricht, dass ich einen Herzinfarkt hatte.

Ich schaue in ein ungläubiges Gesicht.

Ja, das dachte ich auch.

Ich bekomme einen Medikamentenplan, auf dem genau verzeichnet ist, wann ich welche Tablette nehmen muss. Ich stelle in meinem Handy eine regelmäßige Erinnerung mit dem Titel „Zaubertrank“ ein.

Hatte ich bis jetzt noch für die ersten drei Tage Medikamente aus der Klinik zur Verfügung, muss ich nun selbst für Nachschub sorgen. Ich stehe im Nieselregen in der Warteschlange vor der Apotheke, weil wegen der Pandemie nur eine begrenzte Anzahl an Kunden eintreten darf. Ich beobachte die Mühseligen und Beladenen, denen man es zum Teil deutlich ansieht. Gehöre ich jetzt auch dazu? Hoffentlich spricht mich nicht der Apotheker an, der mich kennt. Dazu habe ich gerade keine Lust. Mich bedient aber eine Mitarbeiterin.

Als sie fünf zum Teil stattliche Medikamentenschachteln auf die Theke hievt, muss ich schlucken. Natürlich soll das erst mal ca. drei Monate halten, aber …

Als sie mir anbietet, eine Kundenkarte anzulegen, mit der ich dann einmal jährlich eine Quittung über die Summe der Zuzahlungen abrufen kann, nicke ich wehrlos. Das muss ich jetzt bei der Steuer auch noch berücksichtigen! Es werden gut 20 € fällig.

Der Tag ist für mich gelaufen.

Am nächsten geht es mir wie immer. Ich fühle mich völlig normal. Wir machen einen etwas längeren Spaziergang mit dem Hund. Alles läuft gut.

Da gewöhnt man sich dran

Am dritten Tag ist mir schwindelig und ich fühle mich wackelig auf den Beinen. Wir fahren zum Hausarzt. EKG und Blutdruck sind unauffällig. Mir wird erklärt, dass ich Medikamente einnehme, die sowohl den Blutdruck als auch die Herzfrequenz senken. Unter normalen Bedingungen reagiert der Körper auf sinkenden Blutdruck mit erhöhter Herzfrequenz und umgekehrt. Die Medikamente wirken diesem Mechanismus entgegen und ich muss mich erst noch daran gewöhnen.

Für den Rest des Tages ist die Stimmung gedrückt. „Ich möchte, dass du wieder gesund bist“, sagt meine Frau zu mir.

Aber das wird wohl nicht passieren.

Meine Herzerkrankung steht plötzlich wie eine Wand vor uns, ohne dass wir darauf vorbereitet waren. Und irgendwie müssen wir da jetzt drüber weg, dran vorbei oder drunter durch kommen.

Wenn man der Naturmedizin glaubt, ist es mit einem konsequent veränderten Lebensstil möglich, sogar die Verkalkung der Arterien rückgängig zu machen.

Realistisch ist es wohl eher, dass der schleichende Prozess der Verengung meiner Gefäße aufgehalten oder so lange wie möglich verzögert wird. Dazu gehören neben dem Lebensstil die Medikamente, die meinen Kreislauf gerade ins Trudeln bringen und die ich teilweise lebenslang nehmen muss.

Was macht uns eigentlich so sicher?

Ich versuche uns mit Fakten zu erden. Mein Herzkranzgefäß war fast, aber nur fast geschlossen.

Es gab keinen Verschluss und das Herz wurde nicht geschädigt. Die Untersuchungen haben eine normale Herzfunktion ergeben. Die Herzerkrankung kam auch nicht auf einmal, sondern hat sich über viele Jahre herangepirscht.

Bis es dann am 1. und 2. Januar zu den Vorfällen kam, die mich um zwei kleine Drähte in meinem Herzen bereicherten. Niemand, auch nicht die diversen Hausärzte, die mich all die Jahre begleiteten, hat mich als Risikopatient eingeschätzt. Die regelmäßigen Checkup-Untersuchungen zeigten keine Auffälligkeiten.

Eigentlich können wir froh sein. Jetzt ist es viel unwahrscheinlicher, dass ein Notfall eintritt als vor dem Infarkt.

Was wäre gewesen, wenn ich diesen Anfall in der tiefverschneiten Eifel gehabt hätte? Dort waren wir nur zwei Tage vor dem Notfall auf matschigen, einsamen Wegen unterwegs.

Die Verengung ist behoben. Ich erhalte Medikamente, die vor weiteren Verschlüssen an möglichen Engstellen schützen. Ich bin in regelmäßiger ärztlicher Betreuung.

Vorbilder und Vorsätze

Ich erinnere mich an meinen Vater, der am Ende seines Lebens auch schwer herzkrank war. Er praktizierte lange Zeit einen riskanten Lebensstil mit Rauchen, Übergewicht und wenig Bewegung. Aber irgendwann bekam er die Kurve und stellte sein Leben um, gab das Rauchen auf, trank keinen Alkohol mehr, nahm ab und begab sich in eine regelmäßige ärztliche Kontrolle. Dadurch hat er bis zu seinem Lebensende eine gute Lebensqualität erhalten können.

Und ist Larry King, der amerikanische Fernsehmoderator, nach einer Herz-OP mit fünf Bypässen mit Anfang fünfzig nicht fast 90 Jahre alt geworden? Ich kann also die 100 anpeilen.

Auch die Umstellung des Lebensstils dürfte mir nicht schwerfallen. Rauchen und Übergewicht sind für mich keine Themen. Was die Ernährung betrifft, würde ich eher von einer Kurskorrektur sprechen. Denn bisher haben wir immer viel frisch gekocht und immer weniger Fleisch verwendet. Auch ein regelmäßiges Fitness-Programm ist nichts Unmögliches, zumal ich ohnehin etwas fitter werden möchte.

Das sollte mir leichter fallen als jemandem, der damit nichts anfangen kann. Außerdem unterstützt mich meine Frau voll und ganz.

Schlagschatten

Alles zusammengenommen, können wir nun sicherer sein als wir es früher gewesen sind. Zu der Zeit, als meine vorderes Herzkranzgefäß an zwei Stellen klammheimlich immer enger wurde und wir nichts davon merkten.

Theresa schenkt mir eine Tablettenbox in allen Farben des Regenbogens, richtig hippiesk. Mein Zaubertrank erinnert jetzt an andere, verbotene Tinkturen…

Trotzdem ist die Vorstellung unheimlich, dass mich nun etwas wie ein Schatten begleitet. Es hat kurz gezeigt, wozu es fähig ist. Wir können es in Schach halten.

Aber bis diese Gewissheit unser Unsicherheitsgefühl herunterkühlt, wird es noch ein wenig dauern.


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Hier schreibt Katharina Bertulat. Sie berät und unterstützt Männer, deren Leben in Schieflage geraten ist und hilft ihnen, wieder durchzustarten. In ihrem Magazin STEH! AUF! MANN!® schreibt sie regelmäßig über Männerthemen, Männermusik und Männerbücher. Und Geschichten über Männer, deren Leben wieder Fahrt aufgenommen hat.

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