Wo ist das verdammte Glücksgefühl?

Was wirklich zählt

Martin Weber hat alles erreicht, wovon die meisten Männer träumen. Ein Riesenkerl, fast zwei Meter, gut gebaut, offenes Hemd lässig unter der Lederjacke. Man sieht ihm die viele Arbeit nicht an. Auch nicht, dass er in den letzten Jahren eine erstklassige Anwaltskanzlei in der Kölner Innenstadt aufgebaut hat. Eine steile Karriere. Sie hat ihn reich gemacht. Aber auch verbrannt.

Flucht nach vorn

Martins Vater, Bauernsohn aus Ostpreußen, hat nach der Flucht nochmal ganz von vorne angefangen. Das Architekturstudium in Königsberg musste er abbrechen. Der Krieg hatte alles verändert. Ein Stück Land an der Düsseldorfer Stadtgrenze wurde sein Goldstück. Die kleine Malerwerkstatt brachte genug Geld, Träume zu erfüllen. Er baute eine Bleibe, heiratete seine Herzensfrau und gründete eine Familie. Für die zwei Kinder gaben sie alles. Ein Baumhaus im Garten. Eine Gibson Les Paul für Martin. Ballett für Johanna. Gymnasium, Musikschule, Schüleraustausch, ein Jahr Amerika.

Vaterträume

Martin studiert Jura. Vaters Traum. Er gibt alles, finanziert sein Studium mit Jobs in einer Musikbar. Nachts arbeitet er hinter der Theke und ist ganz dicht dran an seiner Musik. Vor dem Schlafengehen nimmt er seine „Paula“, streicht über die Saiten, leise, damit er niemanden stört. Tagsüber büffelt er Paragraphen, schreibt Hausarbeiten und glänzt mit überdurchschnittlichen Noten.

Das Examen ist brillant, die erste Stelle beneidenswert. In einer angesagten Kölner Kanzlei. Tagsüber schreibt er jetzt Gutachten und Stellungnahmen, wertet Urteile aus, wird schnell zum Star. Er sieht Lösungen, die andere nicht sehen. Nachts hängt er mit den Letzten im „Durst“, wo einer Scheiben auflegt, die keiner mehr kennt. Die Musik ächzt durch Rauchnebelschwaden. Sie dringt in Martins Seele.

Perfektes Glück

Franziska lernt er in einer Bar kennen. Wenn fast alle Gäste gegangen sind, kann er mit ihr stundenlang über Musik reden. Und über seine Träume. Sie kommen sich näher. Das Kind kommt schneller als geplant. Dann ein zweites. Ein Haus im Grünen. Ein Volvo. Perfektes Glück. Das will finanziert werden.

Sahneschnitte

Martin gründet eine Kanzlei. Eine Sahneschnitte. Klienten, die sich nur die besten Anwälte leisten können, geben sich die Klinke in die Hand. Seine Plädoyers sind Konzerte. Sie sitzen. Sie schaffen Fakten, die immer mehr Klienten anziehen. Er ist der Star auf der Gerichtsbühne. Im Kopf spielt er Paula. Für sich. Sie rockt.

Burn Out

Mit 42 kommt Martin das erste Mal aus der Puste. Der Hausarzt verschreibt ihm Pillen und eine Pause. Drei Wochen am besten, ohne Handy und Rechner. Unvorstellbar. Martin schluckt die Pillen und macht weiter. Aber er fängt an, sich zu fragen, was los ist. Was ihm fehlt. Jetzt, wo er alles hat. Geld. Haus. Eine tolle Frau. Der Familienhund. Die Kinder im Gymnasium. Eine angesehene Familie.

Er spürt die Risse in der Beziehung. Haarfein, aber die Kälte zieht durch. Sie funktionieren. Ein gutes Team. Er sorgt für das Einkommen. Sie für die Kinder. Sie reden kaum über das, was sie bewegt. Nur über das, was sein muss. Die nächste Klassenfahrt. Den nächsten Urlaub. Das nächste Auto.

Wo ist das verdammte Glücksgefühl?

Der Zusammenbruch kündigt sich schleichend an. Abends hängt er jetzt öfter am Kneipentresen. Meist allein. Am Anfang ist es nur ein Feierabendbier. Es werden zwei und drei. Und es ist spät, wenn er nach Hause kommt. Aber er kann schlafen mit dem Rausch im Kopf. Nur das Konzentrieren am Tag wird schwerer. Er sitzt vor dem Rechner und sieht nichts. Der Bildschirm ist schwarz für einen Augenblick. Bis die Buchstaben nach und nach wieder erscheinen. Die Texte, die zu seiner anwaltlichen Pflichtlektüre gehören, kann er kaum noch zusammenhängend lesen. Das Telefon lässt er klingeln. Er kann nicht abheben.

Martin fühlt sich elend. Sein Leben ist das, was andere als perfekt bezeichnen würden. Er kann sich alles leisten. Alles tun. Seine Eltern sind unendlich stolz. Er hat es geschafft. Wo ist das verdammte Glücksgefühl?

Hammersound im Gebäude 9

Seinen Freund Max hat er ewig nicht gesehen. Früher waren sie oft zusammen unterwegs. Die Konzerte im Gebäude 9. Und im Blue Shell. Bis es wieder hell wurde. Im Vollrausch mit dem Fahrrad zu zweit zurück in die Wohnung. Rührei mit Speck und dann bis mittags pennen.

Zig Mails schreiben sie sich. Dann das Treffen im Gebäude 9. Helmet. Mein Gott, sind die alt geworden. Aber Kerle geblieben. Zwei Stunden Hammersound. Und 6 Stunden Hammerreden. Endlich wieder. Über Musik. Klar. Paula. Und über die Fender. Hat Max lange nicht gespielt. Geht halt nicht bei dem stressigen Agenturjob. Sie reden über die alten Zeiten. Der Rausch macht schwach. Männer weinen nicht. Aber Martin spricht es aus. Da ist was, was ihn unruhig macht. Er kann nicht mehr. Er will so nicht mehr. Ihm fehlt die Musik. Die Musik. Er will spielen. Musik ist der Draht zu seiner Seele.

Reden hilft

Dann fängt Max an zu reden. Über Gespräche, die ihn beflügelt haben. Seitdem fühlt er sich wieder stark. Niemals hätte er gedacht, dass er das macht. Aber der Druck war zu stark. Er war zu dicht dran am Alkohol. Und längst über die Leistungsgrenze. Für die Kinder wollte er ein toller Vater sein. Stark und da. Für Ute ein toller Mann. Ein Partner. Ein Liebhaber. Ein Macher. Erst konnte er nicht mehr schlafen, sagt Max. Die Kunden nervten. Die Kollegen. Kreativ sein ging nur noch mit Stoff. Und der Sex. Scheiße, Mann. Da ging nix mehr. Im Auto im Stau hat er dann den Heulkrampf gekriegt.

Ihm war klar, er braucht Hilfe. Er wollte raus aus dem Scheiß, was heute Hamsterrad heißt. Heimlich hat er sich schlaue Männerbücher gekauft und gelesen, wenn er mal wieder nicht schlafen konnte. Oder beim Check-in vor dem nächsten Flug nach München zum Kreativmeeting. Jede Männerzeitschrift mit seinem Thema hat ihn magisch angezogen.

Mut macht Mut macht Mut

Dann ist er über diese Anzeige gestolpert. Er hat einfach angerufen und einen Termin vereinbart. Seitdem treffen sie sich regelmäßig. Er und seine Coach. Ja, eine Frau. Da kann er loswerden, was ihn beschäftigt. Sie reden ein, zwei Stunden. Manchmal auch länger, wenn er gerade mehr Zeit braucht. Die Gespräche, sagt Max, haben ihm Mut gemacht. Er hat die Fender entstaubt. Und nimmt wieder Unterricht. Bei so einem geilen Gitarristen. Boah, da geht die Post ab. Neulich hat er ein paar Leute getroffen, die eine Band gründen wollen. Und er fragt Martin, ob er auch mitmachen will.

Was wirklich zählt

Mittags läuft Martin durch die Stadt. Im Musicstore vergisst er die Zeit. Die Griffe sitzen nicht mehr. Drei Wochen kommt er jeden Tag. Eine halbe Stunde spielt er die alten Stücke. Dann nimmt er die Gitarre mit. Wieder eine Paula. Abends spielt er stundenlang. Fühlt sich frei. Und fragt Max nach dieser Frau, mit der er spricht. Und die ihm Mut gemacht hat.

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Max hat alles. Geld. Eine tolle Frau. Kinder. Ein Motorboot. Dann diese Nacht. Seitdem kann Max nicht mehr schlafen. Lesen Sie die Geschichte eines Seitensprungs. Und was Sie tun können, wenn Sie auch fremdgegangen und genauso ratlos sind.

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Hier schreibt Katharina Bertulat. Sie berät und unterstützt Männer, deren Leben in Schieflage geraten ist und hilft ihnen, wieder durchzustarten. In ihrem Magazin STEH! AUF! MANN!® schreibt sie regelmäßig über Männerthemen, Männermusik und Männerbücher. Und Geschichten über Männer, deren Leben wieder Fahrt aufgenommen hat.

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